Über Anna Melnikovas choreografische Serie „Beugen“ am Theater an der Universität Regensburg

Beugen – die beiden Frauen stehen im 45 Grad-Winkel voneinander getrennt mit dem Rücken zur Säule, die die Betondecke trägt, und vollziehen auf schlichteste Art diese Bewegung des Oberkörpers nach vorne. Immer wieder. Nicht zum selben Zeitpunkt, aber kurz nacheinander. Besonders: Als Zuschauer steht man, weil es so kam, dicht neben ihnen.

Das Beugen gehört nicht zum Konsens der Alltagsbewegungen. Man geht aufrecht. Schüttelt Hände. Halt Abstand und am Besten ist es, man hält den Blick eher bei sich. Sich in der Öffentlichkeit zu Beugen ist der Bruch der Norm. Dadurch aber, so frei gestellt, tritt in der Wahrnehmung des Betrachters erst die unnütze Schönheitdieser Bewegung hervor. Die Beugung wird zur Verbeugung; eine Würdigung des Raumes und des jenigen der sie sieht.

Schutzlos geben sich die Performerinnen Anna Melnikova und Annegret Schalke dem Akt hin. Variieren ihn, in dem sie den Arm verlängern, den Nacken lang machen, hineinragen in den Raum und das Auge auffordern, der imaginären Linie zu folgen. So ist Tanz.

Anna Melnikova wählte die(Ver)beugung im grauen Betonfoyer des Theaters der Universität vor wenigen Wochen als  Ausgangspunkt für eine choreografische Beabeitung des Umfeldes. Anna Melnikova ist Spezialistin darin. Während der Vorbereitung der Performance auf Einladung des Tanzfestivals SCHLEUDERTRAUM war sie eigens angereist, um Fluchtpunkte, Nischen, Wände, Mauern und Gänge zu sichten und  versteckte oder imaginäre Räume im Raum zu entdecken. Jetzt steht sie schlicht da. Endlich. Ihr Blick sowie der ihrer Partnerin ist weit geöffnet. Nie beobachtend, sondern offen für Begegnung und Erfahrung mit einem Gegenüber. Melnikova und Schalke schleifen sich, in grobe, braune und grau-grüne Wolle gekleidet, in den Raum, ziehen lustvoll die Konsequenzen aus ihrer Verbeugung in dem sie in Schritte hineinfallen, in Rotationen ihrer Körper mit denen sie das Feld auf dem Boden aus Kopfsteinpflaster zunehmend vergrößern. Die herumstehenden Zuschauer, ganz leise ist es, nehmen nach und nach Stellung. Blicken fragend, lassen an sich vorbeigehen, wenden den Kopf, Blicke treffen sich. Sie werden zur Körpermasse, die die beiden Performerinnen im Raum zergliedern, sanft umschichten, verlagern, da die Zuschauer ihnen ausweichen, nachfolgen, sich anders im Raum zu ihnen platzieren. Wen die beiden darstellen, entzieht sich einer Zuordnung. Ihre Kostüme, Rock, Bluse und Hose, entheben sie einer historischen Zuordnung. Auf diese Weise  tritt neben die Erfahrung der zunehmenden Verfeinerung des Raumes die Erfahrung einer Dehnung von Zeit. Das emotionale Spiel der beiden Frauen, die sich irgendwann fast ineinander verbeißen, an Wände drücken, leise lachen, sich verfolgen, dann jagen, in rauen Schritten den Raum durchqueren, lassen plötzlich einen Erinnerungsraum assoziieren an Zeiten in der Ferne und in deer Zukunft. Gegenwart wird für einen Moment flüssig. Schlicht wunderschön das Ende dieser 25minütigen Erfahrung: Melnikova lässt einen kleinen Raum im Raum öffnen, zwei Türen schlagen auf, drinnen Licht. Schalke und sie gehen hinein, und wild wie Flügel großer  Vögel schlagen ihre Arme, bis sie hinter den Türen verschwinden. Man verlässt den Ort anders als man kam.