„Cristiana! Nicht Cristina“ korrigiert Cristiana Morganti. Dabei beugt sie sich leicht vor. Die Stimme kommt von einem alten Kassettenrecorder, so wie man ihn Anfang der 190er Jahre noch hatte, und interviewt die ehemalige Tänzerin des berühmten Wuppertaler Tanztheaters von Pina Bausch. Es ist stockdunkel auf der Bühne. Wo man sich befindet, weiß man nicht, in jedem Fall aber in irgendeiner Art backstage und zeitlich dreissig Minuten vor Beginn einer Vorstellung. Führt Cristiana Morganti dort ein imaginäres Pressegespräch “mit Jessica”, so der Name der Fragenden, oder ist “Jessica” doch eine Psychiaterin? Die Fragen kommen freundlich, aber unerbittlich. Warum sie Tänzerin geworden sei oder ob es stimme, dass alle Frauen in dem Ensemble sich nicht die Beine rasiert hätten oder dass Pina Bausch eine sehr fordernde Künstlerin gewesen sei. Morganti holt jedes Mal Luft, antwortet beherrscht und höflich, revidiert freundlich oder steht schließlich auf, um die Stimme auf die Hinterbühne zu verbannen. Dazwischen lacht sie “von innen”, markiert hysterisch schreiend in verschiedenen Sprachen eine “seelische Krise” oder zeigt, dass sie Weinen täuschend echt markieren kann. Umwerfend: Sie raucht, wie Pina Bausch es sie gelehrt hat, geht “einen Gang mit Bedeutung”, macht Sport oder erscheint übergroß in Unterwäsche auf einer Videoprojektion, und das alles so schnörkellos und entwaffnend, dass das Publikum unzählige Male in Schmunzeln und Lachen verfällt.
Über zwanzig Jahre lang, ab 1993 bis 2014 war Morganti Tänzerin bei Pina Bausch in Wuppertal gewesen – in der Kombination eine unvorstellbar lange Zeit, während der ein Ich zum Preis allein zahlreicher Bänderrisse und Sehnenverletzungen, die Morganti ohne Scheu benennt, in den Dienst einer herausfordernden, internationale Tanzgeschichte schreibenden Ästhetik gestellt wurde.
In psychologischer Hinsicht schreit eine solch intensive Zeit nach Benennung und Auseinandersetzung. Morganti entschied sich für den kreativen Weg. Sie blieb im Fach schuf stattdessen die beeindruckend ironische und tief berührende Lecture Performance “Jessica And Me”, wohlgemerkt: nicht “Pina And Me”. Das Stück entstand 2014 und wurde von der 1967 in Rom geborenen Italienerin zigmal in ganz Europa aufgeführt. Es ist ein uneitles, kluges Bühnenstück, das Morganti da geschaffen hat und das endlich im Theater in Pfalzbau in Ludwigshafen vor einer Handvoll Zuschauern zu sehen war. Denn niemals nennt Morganti ein Werk aus dem Wuppertaler Repertoire. Sie hat, das ist die schöne Botschaft, mit Pina Bausch, die sie kurz in der typischen Bewegung aus dem legendären Stück “Cafe Müller” zur Freude alle aufblitzen lässt, zusammengearbeitet, und sie ist dabei, obwohl sie immer nur “nicht schlecht” gewesen sei, für die Welt zu einer grandiosen Tänzerin geworden. Vor allem in diesen Momenten betört Morganti. Unabhängig davon, welchen Erzählfluss sie gerade ihren Bewegungen vorausgehen oder diese begleiten lässt – sobald sie tanzt, machen die ungewöhnliche Präsenz und Präzision dieser Künstlerin beim Tanzen sprachlos. Die Weichheit, mit der sie mit den Händen und Füßen über den Boden zu streichen vermag, dann die Bewegung durch die Arme fließen und diese wiederum virtuos in den Raum und um den Körper mäandern lässt – all diese aus den Bausch-Stücken bekannten, typischen Armbewegungen und Posen auf dem Boden, die nie Weiblichkeit verleugnen, ließen nicht nur in wenigen Momenten das Wuppertaler Tanztheater wieder aufleben, sondern zeigten auch, wie viel harte Arbeit Morganti in ihren Beruf gesteckt hatte. Zum Schluss schlüpft sie rauchend in einen weit opulenten Rock eines Brautkleides, auf den Flammen projiziert werden. Ein vielsagendes Bild: Hommage an die dauerrauchende, sich für den Tanz verbrennende Pina Bausch, aber auch an sich selbst und all die Frauen in der Geschichte, die, warum und wo auch immer, gefährdet und doch stark solo ihren Weg gingen.
Text: Alexandra Karabelas. Erschienen in der RHEINPFALZ am 04.07.2021. Foto: Claudia Kempf
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