In Heidelberg ist endlich das Kunststück gelungen, ein Studio für die freie Tanzszene ins Leben zu rufen1. Erläuterndes Vorwort

Helligkeit und Weite, wohin das Auge reicht. Sagenhafte 244 Quadratmeter groß ist die frühere Kantine der Heidelberger Druckmaschinen in der Kurfürsten-Anlage 58. In der Mitte  glänzt ein zwölf Mal zwölf Meter schwarzes Quadrat. Tritt man darauf, überrascht die Weichheit des mehrlagigen Bodens. „Es ist einer der besten Tanzteppiche, die man haben kann“, schwärmt Choreograf Edan Gorlicki und tippt sanft mit dem großen Zeh darauf. „Er bietet Schutz und Komfort für alle, die hier arbeiten. Außerdem ist er mobil. Wir können ihn jederzeit einpacken und in einem anderen Raum installieren, ebenso das ganze Inventar“. Und damit meint Gorlicki, der behende den kaum enden wollenden Raum vorführt, die Umkleiden, die abschließbaren Fächer, die Sofas für Besprechungen, die sauber in einer Ecke gestapelten Requisiten, ebenso die daneben fein sortierten Scheinwerfer oder die Rollen weiteren Tanzteppichs. „Jeder, der bei uns arbeitet, kann jetzt seine Dinge hier aufbewahren oder auch ausleihen an Kollegen, das ist wichtig“, betont er und erläutert weiter: „Wir, das sind zur Zeit 18 freischaffende Tänzer und Choreografen mit Wohnsitz in Heidelberg, so viele sind jedenfalls in unserem Verteiler“, erzählt Gorlicki, „und das Schöne ist: Wir haben alle Generationen vertreten.“

 „Inter-Actions“ heißt zwar Gorlickis eigene Compagnie, jedoch ist ihm wichtig, dass das passiert, was der Name meint: Interaktion und Zusammenarbeit. Der mehrfache Tanz- und Theaterpreisträger der Stadt Stuttgart und des Landes Baden-Württemberg mit Wohnsitz in Heidelberg engagiert sich seit Jahren für Tanzcommunities im Rhein-Neckar-Raum.  Dass „Coworking“ jetzt der Schlüssel zur Integration der Heidelberger Tanzszene geworden ist, ist ihm zu verdanken. „Das Kulturamt Heidelberg hatte zu Beginn des Jahres 2019 alle Tanzschaffenden eingeladen, um sich über unsere wichtigsten Bedürfnisse zu informieren. Hierbei nannten ganz viele das Fehlen von Proberäumen und Aufführungsmöglichkeiten. Diese gibt es aber, wenn man so will, nur haben die meisten von uns nicht oder nicht oft Zugang zu ihnen,“ erzählt der 38-Jährige. In der Tat machen seit vielen Jahren festgefahrene Förderstrukturen freischaffenden Choreografen in Heidelberg das Leben schwer, einen kontinuierlich sichtbaren Erfolgsweg einzuschlagen. Proberäume zu gewünschten Zeiträumen sind schwer zu finden und kaum kostengünstig, und ob die Premiere des eigenen Tanzstücks dann auch stattfindet, hat viel damit zu tun, ob der Termin, die Bedürfnisse, die Ästhetik und der Grad an Professionalität dem jeweiligen Partner gefallen. Derer gibt es in Heidelberg nicht viele: Es sind die Tanzbiennale von Theater Heidelberg und UnterwegsTheater, das „720- Stunden“-Format des UnterwegsTheaters in der großflächigen Hebelhalle und das Kulturhaus Karlstorbahnhof etwa. Das Choreographische Centrum Heidelberg ist ausschließlich für internationale Choreografen reserviert – Gorlicki selbst genoss zu Beginn seiner choreografischen Tätigkeit mehrere Residenzen dort; die HebelHalle dient Jai Gonzales als Produktions- und Aufführungsort für ihre Werke, nebst Gastspielen internationaler Compagnien und dem von ihr und Bernhard Fauser betriebenen kulturellen Vermietungsgeschäft. „Für mich war also Zugänglichkeit das Wichtigste, was wir alle benötigen“, so Gorlicki. Nach dem Treffen machte er sich auf die Suche nach einem Raum, der diese Zugänglichkeit bieten würde. Als er bei Andreas Epple und dessen Unternehmen, das das ehemalige Firmengebäude in der Kurfürsten-Anlage 2015 erworben hatte, auf offene Ohren stieß, machte Gorlicki  dem  Kulturamt Heidelberg den Vorschlag, diese ehemalige Kantine als Zwischennutzung anzumieten. Man könnte ja beispielsweise monatlich eine Summe aufwenden, die sowieso jener Summe entspricht, die die frei schaffenden Choreografen für ihre diversen Studiomieten sowieso für ihre städtisch geförderten Produktionen jährlich ausgeben müssen. „Bei mir fielen zum Beispiel allein 1.200 € Studiomiete für einen Monat an und ich konnte das Studio nur wenige Stunden am Tag nutzen und dort nichts lagern“, so Gorlicki. Das Kulturamt und das Unternehmen fanden zu einer Lösung und ermöglichen damit nun gemeinsam, zusammen mit dem Heidelberger Investitionsprogramm, das den hochwertigen Tanzteppich finanzierte, eine bis dahin nie zuvor gedachte Infrastruktur für alle bewegungsbasierten Künstler in Heidelberg. „Das ist das Tolle an „Inter-Actions“, freut sich „Gorlicki“, „keiner von uns zahlt für den Raum und keiner von uns verdient mit ihm Geld, aber alle können ihn nutzen“. 

Lang haben die Mitglieder der freien Tanzszene diskutiert, wie sie den Zugang zu „Inter-Actions“ gemeinsam, fair und transparent organisieren möchten. Jetzt gilt: Wer zuerst aus dem Kreis bewegungsbasierter Künstler in Heidelberg kommt, der malt zuerst. Sollte aber einer von ihnen auf eine Premiere oder eine Performance hinarbeiten, habe dieser oder diese Vorrang. „Danach darf der rein, der künstlerische Bewegungsforschung betreibt. Danach hat derjenige Zugang, der sich auf etwas vorbereiten muss, zum Beispiel einen Wettbewerb oder eine Bewerbung, und zum Schluss haben die internationalen Choreografen und Tänzer Zutritt.“ Das Buchungssystem verwaltet noch Gorlicki, kann aber jederzeit von einer anderen Person übernommen werden. Wichtig war allen, dass, egal wer von ihnen in dem weiten Studio arbeitet oder probt, er jeweils am Donnerstagabend eine Stunde lang sein Wissen mit allen, die sich für Tanz interessieren, kostenlos teilen muss. Anmelden muss man sich nicht, sondern einfach kommen und mitmachen. „So bauen wir unser Publikum auf“, erklärt Gorlicki. Erst gestern hat er die neuen Donnerstagabend-Termine verschickt. Die Liste liest sich verheißungsvoll: Bewegungsforschung für Alle mit Cecilia Ponteprimo, Elisabeth Kaul, Lisa Bless, Amy Josh und Edan Gorlicki. Weitere Namen folgen im Oktober!

Erschienen am 19.9.2020 auf Tanznetz.de und am 10.9.2020 auf Tanznetz.de