Wie anfangen, wenn einer geht, der sieben Jahre lang geblieben sein wird? Man darf mit Sicherheit annehmen, dass Yuki Mori einen kaum enden wollenden Applaus entgegennehmen wird, wenn die letzte Vorstellung seiner letzten Tanzschöpfung für Regensburgs Bühne, „Gefährliche Liebschaften“, an diesem Freitagabend über die Bühne gerauscht sein wird. Es ist ein atemlos machendes, zeitgenössisch-fließend choreographiertes Erzählballett. Mit großer Spielfreude breitet Moris Ensemble darin vor den Augen des Publikums all jenes aus, was die menschliche Existenz zielgerichtet ins Leiden führt – Macht, Manipulation und Gier, Lust und Leidenschaften, der Verrat, die Rache und die Intrige. Das Stück ist auch der vorläufige Endpunkt einer beeindruckenden und berührenden künstlerischen Entfaltung eines Einzelnen, der man diese sieben Jahre lang genussvoll zusehen durfte – in Regensburg, aber auch bei Gastaufträgen etwa für das Nationaltheater Mannheim.
Denn Yuki Mori war bis 2012 Tänzer am Ballett des Staatstheaters Wiesbaden. Direkt im Anschluss wurde er als Nachfolger von Olaf Schmidt neuer Tanzchef in Regensburg. Die Vereinbarkeit dieser beiden Berufe – jenes des Spartenleiters und jenes des Chefchoreografen – bedeutete eine Herausforderung, berichtet er im Telefonat. Sie bestand darin, in kürzester Zeit Tänzerinnen und Tänzer zu entdecken, die auch menschlich in sein Ensemble passten; dann jene Menschen, aus den verschiedensten Ländern weltweit und mit ihren unterschiedlichen Persönlichkeiten zu einem Team zu formen und eine Führungskultur zu entwickeln, die Zusammenhalt und ein Höchstmaß an Kreativität ermöglichte; und schließlich sollte seine ureigene künstlerische Kraft und Kreativität ungehindert fließen und Stücke produzieren können, ohne von der Führungsverantwortung abgelenkt zu werden. An guten Tagen kam der eine Mori, der zusammen mit seinem Company-Manager Christian Maier zehn Tänzerinnen und Tänzer innerhalb des komplexen Theaterbetriebs führen musste, jenem anderen, der, auf sich allein gestellt, über Monate Stücke wie Babys in sich trug, die irgendwann das Licht der Welt erblicken, nicht in die Quere; an anderen Tagen musste er sehr wohl seine Kreativität mit anderen Angelegenheiten beschäftigen als mit der Kunst, erinnert er sich – ein Dilemma, das typisch ist für viele Ballett- oder Tanzdirektorinnen und –direktoren in Deutschland. Natürlich sei die optimale Lösung, als Direktor einer Sparte einen kreativen Hauschoreografen oder als Hauschoreograf einen nichtchoreografierenden Direktor zu haben, so Mori weiter, aber er wolle sich nicht beschweren. Wo gebe es denn eine Stadt wie Regensburg die sich seit Jahrzehnten ausdrücklich zu einer Tanzsparte bekenne und ein Land wie Deutschland mit so vielen Ensembles?- Mori, so viel ist sicher, ist die Balance gelungen. Er setzte sich von Regensburg aus sehr für den Tanz ein, indem er kraftvoll gleich mehrere Gastchoreografen in die Welterbe-Stadt holte, was an einer Stadttheater-Company nicht die Regel ist – so natürlich Stephan Thoss, seinen künstlerischen Ziehvater, aber auch Shumpei Nemoto, Giuseppe Spota, Felix Landerer, Ihsan Rustem oder Fabien Prioville. Das „Junge Choreografen“-Format der „Tanz.Fabrik“ nutzte er, um weitere Choreografinnen und Choreografen zu fördern, so wie Taulant Shehu, Marina Mascarell, Natalia Rodina, Matthias Kass oder Maciej Kuzminski, dem er als Jurymitglied beim 32. Wettbewerb für Choreografen in Hannover den „Produktionspreis Theater Regensburg Tanz“ verliehen hatte. Dieses Engagement für die Kunst des zeitgenössischen Bühnentanzes würdigt auch Intendant Jens Neundorff von Enzberg: „Yuki Mori war eine wichtige Bereicherung für die Tanzrezeption und -entwicklung in der Region Regensburg“. Gerne hätte er selbst weitere Aufträge als Gastchoreograph angenommen, um Regensburg als Stadt des Tanzes noch stärker international zu vertreten, erzählt er. Doch auch wenn solche Einladungen erst in den vergangenen zwei Jahren erfolgten – in Regensburg formte sich Mori zu einem Künstler, der das abendfüllende Format heute mit Bravour zu realisieren vermag. 2016 nominierte man ihn für seine Produktion „The House“ für den FAUST-Theaterpreis.
„Gefährliche Liebschaften“ ist Yuki Moris insgesamt fünfter Abendfüller in Regensburg; weitere elf kürzere Neukreationen sowie über zwanzig Choreografien für zahlreiche Anlässe und Abnehmer des Stadttheaters, etwa das Theaterfest, den Ball, die Operette oder das Musical vervollständigen seine beeindruckende Regensburger Bilanz. Sein spezifisches und dabei enormes Potenzial als Künstler aber zeigen diese Zahlen nur bedingt an. Denn obwohl der 1978 in Kobe geborene Mori sich lustvoll dem Erzählen mit dem Tanz widmet, fordert es ihn auch deswegen heraus weil seine große Gabe im abstrakten Tanz in vielschichtiger Auseinandersetzung mit der Musik liegt. Wie wenige vermag der zurückhaltend auftretende Japaner, der in seiner Heimat mehrere Preise erhielt, den Raum der Stille neben der Musik wahrzunehmen, ihn zu betreten und von dort aus vielfarbige, fließende Bewegungslandschaften zu formen, die sich kunstvoll neben ihr behaupten. Eindrucksvoll hatte er dies an seinem ersten Abend „Zeit.Raum!“ für Regensburg 2012 offenbart, dann in „Am Rand der Stille“, aber auch in seiner Neukreation der „Carmen“ für Mannheim, um nur einige Werke zu nennen.
Und so scheinen auch in „Gefährliche Liebschaften“ nicht die Inhalte so interessant zu sein wie die Tatsache, dass „aber alles im Kreislauf“ gezeigt werde, so Mori – ein Künstler, der vielleicht wegen der ganz anderen Herkunft anders auf die Gesetzmäßigkeiten blickt, die dem dahin fließenden Leben zugrunde liegen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Mori, der sich aus familiären Gründen nach über zwanzig Jahren in Deutschland für eine Zeit in die fremde Heimat Japan zurückziehen wird, seine Karriere wieder aufnehmen wird.
Text: Alexandra Karabelas, erschienen am 7. Juni 2019 in der Landshuter Zeitung
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