Es gibt viel mehr Publikum für Tanz als man denkt. Nur sitzt es nicht in Hamburg, Berlin, Stuttgart oder München, sondern in den kleinen und mittelgroßen Städten in ganz Deutschland. Seit einem Jahr kümmert sich eine Initiative der Kulturstiftung des Bundes gemeinsam mit dem Dachverband Tanz um dieses Publikum. 2,35 Millionen Euro umfasst der Fonds TANZLAND, mit dem bis 2021 19 Compagnien an Stadttheatern und frei schaffende Kollektive gefördert werden, ihre Tanzsprachen und -stücke in insgesamt 20 andere Städte zu bringen. Die dabei entstehenden Tanz-Partnerschaften unterscheiden sich erheblich von jenen Experimenten, bei denen sich Städte ein Tanzensemble geteilt haben. Denn im Zentrum der Kooperationen stehen neben Vorstellungen der Austausch über das Tanzerlebnis und deren Vermittlung. Guido Markowitz, Direktor des Ballett Theater Pforzheim, genießt als Einziger das Glück, seinen Tanz in gleich zwei süddeutsche Städte bringen zu dürfen: aktuell ins bayerische Waldkraiburg und ab Herbst 2019 nach Metzingen in Baden-Württemberg. Im Gespräch mit Alexandra Karabelas zieht er eine erste Zwischenbilanz.
Nenne Sie mir eine unabdingbare Voraussetzung, damit eine solche TANZLAND-Kooperation funktioniert.
Nun, man braucht natürlich einen Intendanten, der das auch fördert, und in Thomas Münstermann haben wir einen solchen Intendanten. Darüber bin ich froh und glücklich. Ich bin ja an das Theater Pforzheim gebunden und habe mit Waldkraiburg und Metzingen plötzlich mehrere Spielorte. Da müssen alle mitmachen.
Inwieweit beeinflusst Ihre TANZLAND-Arbeit Ihre Arbeit in Pforzheim konkret?
Zunächst beeinflusst sie organisatorisch das ganze Haus. Oper, Schauspiel und das Kinder- und Jugendtheater unternehmen sehr viele Gastspiele. Neu war, dass nun auch das Ballett auswärts spielt und zudem verbindlich in eine andere Stadt geht. Daran gewöhnen sich zur Zeit alle. Ganze Abteilungen, von der Verwaltung bis zur Maske, unterstützen uns mit voller Kraft und Energie und arbeiten konkret daran mit, dass unsere TANZLAND-Kooperation gelingt. Dafür bin ich sehr dankbar. Die Kollegen spüren die Begeisterung, die das Ballett Theater Pforzheim in Waldkraiburg ausgelöst hat. Sie merken, dass die Menschen uns dort wollen. Sie erhalten für ihre Arbeit viel Positives zurück.
In Waldkraiburg war bis zu Eurem Engagement sehr wenig Tanz. Was am Tanz war dadurch für Sie spürbar geworden, was Tanz mit Menschen macht oder kann?
Ab der ersten Minute haben wir eine große Neugierde auf Tanz wahrgenommen. Viel mehr Menschen als gedacht kamen zu unseren Veranstaltungen. Selbst die Organisatoren in Waldkraiburg haben nicht damit gerechnet. Die Bereitschaft ist in Waldkraiburg da, Neues zu sehen.
Wie sind Sie bei der Entwicklung des Spielplans für Waldkraiburg vorgegangen?
Wir haben in Waldkraiburg mit einem „Meet & Greet“ angefangen. Wir brachten Ausschnitte aus dem ganzen Programm der Spielzeit auf die Bühne, einfach um zu zeigen, was es gibt – die ganze Vielfalt. Jedes meiner Stücke weist andere Einflüsse auf, auch wenn ich natürlich meinen Stil in jedes hineinbringe. Aber Vielfältigkeit ist mir sehr wichtig. Das Interesse war dann sehr groß, etwas Passendes für Waldkraiburg zusammenzustellen. Auch an Workshops übrigens. Ich bin in die Schulen mitgefahren und habe mit den Lehrern und Rektoren gesprochen und so den Bedarf ermittelt. Dann gaben wir unsere erste Vorstellung von „Tanz Pur“ – ein Programm, das wir seit drei Jahren haben. Junge Gastchoreographen erarbeiten neue Bewegungssprachen und Stücke für uns. Ergänzt haben wir die Performances um Einführungen und Workshops. Dadurch wurde der Kontakt zur Vorstellung noch intensiver. Gemeinsam mit dem Publikum schauten wir die Tanzvorstellung an, und lernten in den Workshops einzelne Passagen selbst. So hatten wir Kontakt zu den Zuschauern und Teilnehmern, zu den Kritikern auch, und auch den künstlerischen Austausch. Vieles habe ich natürlich auch offen gelassen, weil ich es wichtig finde, dass die Menschen ihre eigene Interpretation des Erlebten einbringen.
Wie haben die Zuschauer auf Ihre Arbeit reagiert? Die Kritiken waren ja sehr gut.
Die Produktionen, die wir bislang gezeigt haben, eben „Mozart-Requiem – Feiert das Leben!“ und den Abend „Tanz Pur“ mit neuen Stücken von Eduardo Novelli, Damian Gmür und Moritz Ostruschnjak, haben starke Gefühle ausgelöst. So habe ich das wahrgenommen. Zuschauer haben mir danach begeistert gesagt, es sei so emotional und beeindruckend gewesen. Mich hat eine Dame sehr berührt. Sie kam nach der Vorstellung von „Mozart-Requiem – Feiert das Leben!“, das wir mit Chor und Orchester in Waldkraiburg umgesetzt haben, zu mir und sagte, sie sei öfter in München, um sich dort klassische Stücke anzusehen. Sie sei nun aber extrem begeistert von unserer Vorstellung und werde mehr Zeitgenössischen Tanz anschauen. Und das ist der Weg, den man gehen muss, denke ich. Dass man den Menschen zeigt, wie vielfältig Tanz sein kann. Dass man das ganze Spektrum im Tanz bewusst macht – vom Tanztheater über Zeitgenössischen Tanz bis zu Klassischem Tanz oder Volkstanz und dass alle Arten zu tanzen gleichwertig sind. Wir als Ballett Theater Pforzheim präsentieren natürlich Zeitgenössischen Tanz, das Zeitgenösssiche Tanztheater, und in dem Bereich sind wir sehr stark.
Für Sie als Künstler bedeutet das auch, neue Plattformen zu haben und sich anders ausprobieren zu können.
Absolut. Es ist für mich spannend zu sehen, wo die Leute wie unterschiedlich auf meine Stücke reagieren. Einige Male habe ich erwartet, dass das eine oder andere komisch ankommt, und dann wurden die Stücke so gut aufgenommen.
In der kommenden Spielzeit starten Sie zudem die Kooperation mit Metzingen. Wie gehen Sie hier bei der Programmentwicklung vor? Was wird der Ansatz sein?
Ja, wir sind nach Metzingen gefahren und ich dachte, oh, was Tanz angeht, kennen die schon ganz viel. Es gibt dort viele Tanzgastspiele, es gibt Tanzinteressierte vor Ort. Wir sahen dann, dass die Stadt große Lust hat, Neues zu entwickeln und Neues entstehen zu lassen. Deswegen haben wir auch ein Programm aufgebaut, das dem Bedürfnis der Stadt entspricht. Wir werden hier keine großen Programme zeigen, aber dafür mehrere kleinere und vor allem Workshops, so dass wir dort auch Zeitgenössischen Tanz etablieren können.
Wie lautet Ihre erste Bilanz nach einem Jahr TANZLAND-Kooperation? Würden Sie eine solche Kooperation mit einer Stadt, die keine Tanzhochburg ist, bei allen Verpflichtungen in Pforzheim nochmal eingehen?
Eindeutig ja. Jedes Mal, wenn ich nach Waldkraiburg komme, ist es toll für mich zu sehen, wie viele begeisterte Menschen dort im Publikum sitzen und dass sie einen Bezug zu uns, dem Ballett Theater Pforzheim, haben. Uns hat sich deutlich gezeigt, dass das Potenzial für den Tanz gerade auf dem sogenannten „Land“ riesig ist. Das hochqualitative Potenzial von Tanz in Deutschland wird dadurch auch nochmal gegenüber den INTHEGA-Häusern, also den Städten mit Theatergastspielen, sichtbar gemacht. Darauf lenkt das TANZLAND-Programm die Aufmerksamkeit. Das finde ich sehr wichtig. Wenn eine Kritikerin schreibt, wir sind Tanzland, dann ist das ein Wegweiser, hier weiter zu machen. Man sollte diese Dinge unbedingt weiter fördern, die sich gerade etablieren.
Interview: Alexandra Karabelas, erschienen unter www.danceforyou-magazine.com, www.tanznetz.de, www.accesstodance.de. Fotos: Sabine Haymann. Portrait: Sebastian Seibel
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