„Powerhouse“, das Wort klingt hart. Wie eine neu auf den Markt gekommene Serie, die vom Willen zur Macht berichtet; von der Konstruktion eines Erfolg versprechenden Netzwerks, in dem die einen entscheiden und die verlieren. Dennoch passt der Titel zum neuen Ballettabend am Staatstheater Nürnberg. In ihm liegt viel von der Kraft und Energie, mit der Goyo Montero sein Haus in den vergangenen Jahren zum Erfolg geführt hat: Am 22. September wird sein Staatstheater Nürnberg Ballett für seine herausragende technische, stilistische und ästhetische Entwicklung mit dem Deutschen Tanzpreis Aktuell geehrt werden.
„Powerhouse“ ist aber auch auch ein Kuratorenwort. Abermals zeichnet Montero mit der Auswahl der Werke für seismographisch den Zustand der Welt auf. Eindringlich machen seine eigene neueste Kreation „Imponderable“ sowie Hofesh Shechters „Disappearing Act“ aus dem Jahr 2015, nun für das Nürnberger Ensemble gewonnen, Zustände, Lebensgefühle und Emotionen von Menschen in Ländern spürbar, in denen sich ideologische und materielle Überlebenskämpfe tief ins kollektive Bewusstsein eingegraben haben.Greift Montero biographisch auf seine Erlebnisse Anfang der 1990er in Kuba zurück, ist bei Shechter Israel intensiv zu spüren. Poems und Lieder des kubanischen Liedermachers Silvio Rodriguez, die der Kanadier Owen Belton zu einem stark rhythmischen, auch mal peitschend klingenden Klangraum verarbeitet hat, dienen Montero hierbei als hilfreiches Erzählmittel. Shechter, der auch als begnadeter Komponist, Pianist und Perkussionist unterwegs ist, lässt hingegen auf seine eigene Komposition tanzen – eine gewaltig anschwellende, Trance auslösende Soundlandschaft, in die seine Tänzer mit durch den ganzen Körper fließenden Bewegungen eintauchen.
Für die resignative Erfahrung, ohne Einflussmöglichkeiten Systemen und Politiken ausgesetzt zu sein und Unwägbares annehmen zu müssen, bis hin zum existenziellen Kontrollverlust durch Überwachug oder Flucht, findet Montero dunklere und wuchtigere Bilder als Shechter. Scharfe, durch Lichtwechsel ermöglichte Schnitte in der dennoch sehr abstrakt gehaltenen Bilderfolge zeigen, dass in Freude gelebtes Leben neben dem Bedrohlichen gelebt wird. Die Bühne wird bei Montero so zur Arena. An den Rändern nehmen grelle Scheinwerfer die Menschengruppe ins Visier, die sich, in Nebel und Dämmerlicht, getaucht, gemeinsam, vereinzelt und gleichzeitig in Bewegung setzt und alles miteinander durchlebt.
Das faszinierendste Moment bei dieser Neukreation aber ist der Umgang Monteros mit Zeit. Man verliert in „Imponderable“ das Gefühl für Anfang und Ende. Es ist, als ob das, was es zeigt, immer ist, und nur die Zeit der Aufführung des Stückes macht dieses immer Jetzt real Ablaufende sichtbar. Dieses Phänomen taucht in der Erfahrung von Shechters beeindruckendem Stück nicht auf. Shechters Bewegungssprache ist verbundener als Montero, im Zugriff aber diskreter und aber letzten Ende narrativ. Seine Bewegungsflüsse lassen sich in Worte fassen. Denn seine Menschen gehen in der Welt, in der sie leben, gebückt. Sie knien. Das Haupt ist gesunken oder wird zum Himmel gereckt. Die Hände sind bittend erhoben. Eingebunden zwischen Himmel und Erde hält so eine kleine Gruppe an Menschen in Zeiten der Bedrohung zusammen, wo sie ansonsten auseinander fällt. In diesem Satz ließe sich der Inhalt seines „Disappearing Act“ zusammenfassen. „Imponderable“ lässt einen hingegen wortlos, aber voller Emotionen zurück.
Alexander Ekmanns „Tulplet“ fällt dabei ganz und gar nicht aus dem Rahmen. Seine die Lachmuskeln strapazierende, grandiose Schöpfung aus dem Jahr 2012 zum Thema Rhythmus und die dabei einhergehende Dekonstruktion von Tanz als Abfolge vereinbarter Bewegungsentscheidungen spiegeln nicht zuletzt große Spiel- und Lebensfreude am Zusammenstellen und Übereinanderlegen verschiedenster Resonanzräume – sei es des wippenden, schnalzenden oder schnippenden, zum Instrument werdenden Körpers; seien es Momente des Zusammenseins von Menschen im Geist des Jazz irgendwo in den 1940er oder 1950er Jahren, die als Videostill eingespielt werden. Begeisternden Zwischenapplaus gab es für Hirkoki Ichinoses Solo. In starkem Gegenlicht zeichnet nur seine Silhouette ein grandioses Solo zu jenen Lauten, die ein Choreograph im Studio ohne Sound, Klang oder Musik vor sich gibt, wenn er eine Bewegungsfolge intoniert: Dada im Tanz. Herrlich, wo wir doch sonst in dunklen Zeiten leben.
Autorin: Alexandra Karabelas, erschienen am 27.04.2018 in LANDSHUTER ZEITUNG, alle Fotos: Staatstheater Nürnberg, Jésus Vállinas – H. Shechter (oben), G. Montero (unten).
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