Die neue Versuchsanordnung verströmt höchste Sinnlichkeit, Frische und Vergnügen
„If you could see me now – wenn Du mich nur jetzt, in diesem Moment sehen könntest“: Immer wieder huscht der Titel des neuen Stücks von Arno Schuitemaker als Gedanke durch den Kopf, während man schaut, und schaut, und schaut, und irgendwann die Augen schließt, so wie man selbst bei einer Party groovt, seit einer Stunde im Dunkeln irgendwo auf einer Fläche in einem Gebäude. Man erhascht die Bewegungen der anderen und schwingt mit, im Sitzen, in Gedanken, wippend auf dem Stuhl. Schuitemakers neues Stück trägt als Inhalt das Erlebnis des eigenen Tanzens und die Sehnsucht danach, dabei eben nicht alleine zu sein. Sondern in Gemeinschaft, ein Urbedürfnis des Menschen. Ort und Zeit sind daher nun: Die Tafelhalle Nürnberg, zwischen 20 Uhr und 21 Uhr. Weltpremiere.
Das ist mutig. Denn es passiert ansonsten nichts. Keine Story. Keine gesprochene Aufforderung. Kein Video. Keine Ironie. Kein Herzschmerz. Kein Drama. Kein Bekenntnis. Nichts. Nur Beats, drei Performer und ein Lichtdesign, das einen durch eine Nacht führt, in die Phasen des Traumes und des Schlafes und dann wieder in den nächsten Tag hinein. Niedriger kann man von den Zeichen her eine Tanzperformance auf der Bühne kaum hängen; kaum tiefer die Grenzlinie dort ziehen, wann eine Performance eine Performance ist. Bemerkenswert: Keiner aus dem Publikum traut sich, die dargebotene Situation konsequent zu Ende zu führen, indem man aufsteht und sich zu Revé Terborg, Stein Fluijt und Johannes Lind dazu gesellt. Sechzig Minuten lang halten die drei das durch: Sie grooven in den Knien, im Becken, schwingen die Arme, nehmen Kontakt auf, schwingen sich in dasselbe ein, dann wieder schließt jeder die Augen und lässt sich in die eigene Trance fallen. Sie verändern nur ihre Position im Raum, stehen mal in Reihe frontal vor dem Publikum und wippen dann wieder weiter. Riesengroß ihre Silhouetten als Schatten an den Wänden.
Am Ende sind die Körper nass, die T-Shirts triefen. Das Publikum applaudiert höflich. Und geht. Es ist Schuitemakers große Stärke, die Kunst der Performance in all ihren Bestandteilen fast wie ein Ingenieur, der sich auf die Motoren konzentriert und die Karosserie und die Innenausstattung und die Werbung andern überlässt, zu durchdenken und sie als Versuchsanordnung zu entwerfen, die am Ende höchste Sinnlichkeit, Frische und Vergnügen verströmt. Mit „If you could see me now“ hat er wieder einmal diese Stärke ausgespielt. „If you could see me now“ wirft einen exemplarischen Spot auf das magische Tun des Tanzens als schlichter, immerwährender Tätigkeit, die zum Menschsein ebenso gehört wie das Schlafen und Atmen und Essen. Man könnte mit diesem Setting jedes Museum über das Tanzes bestücken, gleich am Eingangsbereich. Davor aber darf man gespannt sein, wie sein holländisches Publikum reagieren wird, wenn diese Einladung zum Tanz ab Januar weiter tourt.
Autorin: Alexandra Karabelas, erschienen am 25.12.2017 auf www.tanznetz.de, Fotos: Sanne Pepper.
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