Seit zehn Jahren ist der Spanier Goyo Montero das Kraftzentrum für den Tanz am Staatstheater Nürnberg. Vieles hat er als Chefchoreograph und Direktor des Balletts seitdem auf den Weg gebracht, etwa die Rückbenennung der Sparte in Ballett, die Erweiterung der Compagnie von 17 auf 22 Tänzerpositionen, den Aufbau eines Repertoires mit Werken zeitgenössischer Choreographie, die zum Kanon des internationalen Bühnentanzes gezählt werden oder die Gründung eines Einsteiger- und Ausbildungsformats für junge Tänzer, die sogenannte Young Company. Den harten Kern seiner künstlerischen Leistung stellen jedoch 19 von Publikum und Presse nahezu durchgehend gefeierte Eigenproduktionen dar, die ihn vor allem einen einzigartigen Inszenierungsstil entwickeln ließen. Alle seine Arbeiten weisen eine große intellektuelle wie menschliche Tiefe auf sowie einen markanten, transformatorischen Umgang mit Raum. Die Gruppe agiert wie ein Solist und umgekehrt und seine Kommunikation über die Bewegung gestaltet sich als intensiver, physisch-dynamischer Strom hin zum Publikum. Seine auf vielen Ebenen konsequent durchgearbeiteten Inszenierungen sorgen nicht nur beim fränkischen Publikum für Furore. Auch die Kritiker ziehen mit: Seine spektakuläre, die Konflikte, Kriege und Tötungen in der Welt benennende Interpretation des „Don Quijote“ heimste in den jüngsten Besten-Umfragen des internationalen Fachmagazins „Dance Europe“, der „Deutschen Bühne“ und „Dance For You“ die Nominierung als beste Choreographie der Saison 2016/2017 ein; letztere listete ihn zudem als „Besten Choreographen“. Mit „Dürer´s Dog“ steht nun die 20. Premiere in Nürnberg in den Startlöchern. Erst kurz vor Beginn der Bühnenproben war Montero aus Moskau zurückgekehrt, wo er als erster zeitgenössischer Ballettchoreograph eine Auftragschoreographie für Diana Vishneva´s Tanz- und Musikfestival CONTEXT kreieren durfte. Im Exklusiv-Interview mit Alexandra Karabelas für Tanznetz gab Montero ausführlich Einblick in seine Arbeitsweise, seine Ziele und Herausforderungen.
Herr Montero, was ich jetzt frage, fragt man eher am Ende eines Gesprächs.
Ja?
Trotz Intendantenwechsel – Ihr aktueller Intendant, Peter Theiler, wechselt Ende dieser Spielzeit an die Semperoper in Dresden – haben Sie im vergangenen Jahr Ihren Vertrag bis 2023 verlängert.
Ich bleibe hier, solange es Entwicklung und Motivation für mich gibt. Meine Choreographien plane ich kaum. Ich lasse das zu was kommt. Die letzte Szene in „Don Quijote“ auf Musik von Chopin trug mich an den Punkt, nun ein Tanzstück über Albrecht Dürer kreieren zu wollen. Ich hatte Sehnsucht nach Schönheit und dem Leben. In der nächsten Spielzeit werde ich wieder eine klassische Erzählung kreieren, dorthin hat mich bereits jetzt „Dürer´s Dog“, so der Titel meines neuen Stückes, gebracht. Der rote Faden fließt von einem Stück zum nächsten.
„Don Quijote“ war eine mutige und den Zuschauer herausfordernde Auseinandersetzung mit den Konflikten und Kriegen in der Welt. Wie kamen sie auf die Idee, jetzt ein Ballett über Albrecht Dürer in Angriff zu nehmen?
„Don Quijote“ ist sicher jenes meiner Stücke das am deutlichsten politisch ist. Es ist ein Theaterstück. Meine „Nussknacker“-Interpretation ging ja auch schon in die Richtung. Nein, zu Dürer gab es vor fünf Jahren in Nürnberg im Germanischen Nationalmuseum die Ausstellung „Der frühe Dürer“. Ich war fasziniert vom dem, was ich dort über den Künstler und Mathematiker erfuhr. Seitdem habe ich mich mit ihm beschäftigt. Im Laufe der Zeit stellte ich fest, dass ich die für mich wichtigste und spannendste Frage nicht beantworten konnte.
Nämlich? Welche Frage meinen Sie?
Wer war Albrecht Dürer?
Und: Haben Sie eine Antwort?
Es gibt einen schönen Aphorismus: So wie die Schönheit liegt auch die Wahrheit immer im Auge des Betrachters. Demnach ist jede Wahrheit subjektiv, ebenso wie jeder Schönheit anders definiert. Vieles ist also wahr. Wer Dürer gewesen ist oder gewesen sein könnte, führte mich zu einer anderen Frage.
Zu welcher?
Zu jener worin sein Werk in unseren heutigen Augen bestehen könnte. Das war meine Arbeitsgrundlage.
Goya, Faust, Don Juan, Beethoven – Sie stellten oft reale oder fiktive Künstlerfiguren außerhalb des gängigen Figurenkosmos des Balletts ins Zentrum ihrer choreographischen Bearbeitungen. Wie sind Sie für das Dürer-Stück vorgegangen?
Ich setzte mich mit Dürers Studien über Schönheit und die hierfür notwendigen Proportionen auseinander und stellte die Frage nach der Quelle von alledem. Wo ist Gott hier? Und ich konzentriere mich auf das Thema der sinnlichen Wahrnehmungen und Empfindungen. Dürers grafische Texturen interessierten mich sehr. Seine naturalistische Darstellung des Hasen etwa. Oder von Nässe. Das Fell und das Wasser werden in seinen Zeichnungen physisch-sinnlich greifbar. Ich nehme das choreographisch auf und experimentiere mit einer ähnlichen Arbeitsweise, der Arbeit mit der reinen Bewegung und sinnlichen Empfindungen. Es wird ein sehr abstraktes Tanzstück werden, auch wenn Dürer eine große Verbindung zu Themen wie Takt, Sinnlichkeit und Menschlichkeit hatte.
Dürer hat sich seinerzeit sehr gut vermarktet, wie seine unzähligen Selbstportraits zeigen. Ist dieser Aspekt für Sie interessant?
Dürer spielte mit seinem Publikum, ist auch mein Eindruck. Er kostümierte sich und hatte keine Sorge, sich als Künstler, als Gott, als Erleuchteten zu präsentieren. Ich vemute dass er nicht versucht hat zu zeigen wer er in Wirklichkeit war. Er scheint mir wie ein Elf zu sein, ein Mensch einer anderer Welt. Das Einzige, was ihn als Mensch aus Fleisch und Blut illustriert, ist seine Suche nach der Schönheit. Er hat erkannt, dass es verschiedene Wege gibt, Schönheit zu finden. Spannend fand ich in diesem Zusammenhang die Geschichte dass zu Dürers Lebzeiten wohl ein Wal in Belgien gestrandet war. Dürer machte sich auf, weil er unbedingt in seinem Leben einen Wal sehen wollte. Er wurde aber während der Reise wohl krank, fand den Wal nicht und musste umdrehen. D.h. er war aufgebrochen, um eine Wahrheit zu entdecken und scheiterte da er sie nicht fand. Die perfekte Schönheit, das wusste Dürer, ist unauffindbar.
Vom Wal zum Hund: Der Titel „Dürer´s Dog“ klingt ungewöhnlich für ein Ballett.
Mir ist in einer Darstellung Dürers von der Passion ein Hund aufgefallen. Er ist das einzige Wesen das uns dort ansieht. Hat sich Dürer im Hund versteckt? Ich entdeckte den Hund daraufhin in anderen Werken Dürers. Der Hund versucht zu sehen und gesehen zu werden. Und er zeigt sich als alles: als Tod, als Teufel, als Ritter, als kranker Hund. Es ist, als ob Dürer versucht hat, hier einen Charakter zu kreieren. Auch das war, wie die Wal-Geschichte, für mich spannend als es darum ging, neue Möglichkeiten zu finden, das Tanzstück zu bauen.
Der Sinn eines Tanzstückes bestehe darin, mit seinem Publikum in einen Dialog zu treten, war zentrales Anliegen und das Motto Ihrer letzten Spielzeiten. Wie erleben Sie diesen Dialog?
Als einen Dialog ohne Worte. Als ein Gefühl. Ich versuche das Publikum an jenem Punkt zu erwischen an dem es keine Möglichkeit hat Erwartungen zu entwickeln oder bereits zu einem frühen Zeitpunkt zu wissen was passieren oder gezeigt werden wird. Jede Uraufführung ist für mich eine Reise ins Unbekannte, mit Überraschungen, und wir, das Publikum und ich, sehen gemeinsam wo es hingeht: in eine Welt des Traums oder in eine gefährliche Welt; in eine Welt voller Schönheit oder ohne Ausweg. Ich orientiere mich auf dieser Reise daran, was mich als Mensch in der Vorstellung an dem Thema interessiert ohne gleich eine Antwort darauf zu haben. Wenn ich zu schnell weiß wohin die Reise geht, schaltet auch das Publikum ab und der Tanz ist tot. Zum Glück ist mir die Compagnie in den vergangenen zehn Jahren auf diesem Weg gefolgt.
Worin liegt Ihrer Auffassung nach die zentrale Aufgabe des Tanzes für den Menschen?
Der Tanz hat großen Einfluss auf die Freiheit der Körper und damit der Menschen. Egal ob es Mauern, Türen, innere Sperren, Regierungen oder nationale Grenzen sind. Ich beobachte an meinem eigenen Kind: Wir beginnen in unserem Leben mit Freiheit in der Bewegung und plötzlich erreichen wir einen Punkt in unserer Entwicklung, an dem wir aufhören, uns in Freiheit zu bewegen. Das Gegenteil sollte der Fall sein. Denn ich bin der festen Ansicht dass erst dann Respekt voreinander beginnt. Ohne Respekt und Sympathie füreinander allein hier in der Compagnie könnten wir den Tanz gar nicht erschaffen.
Manchen hat der Tanz gerettet. Können Sie diesen Satz nachvollziehen?
Ich denke ja. Für mich sind Tanz und Choreographie Psychotherapie total. Ich kenne meine Ungeheuer. Und meine Fragen. Ich denke schon dass man Probleme und Traumata rauslassen kann beim Tanz, und danach ist man wissend. Das Jahr, in dem mein Vater starb, habe ich mit Choreographie bewältigt: zuerst mit „Monade“, und dann mit „Don Quijote“. Das hat mich gerettet. Manche Choreographen bringen wirklich in ihren Stücken etwas aus sich heraus was ganz tief liegt. Dann ist ihre Arbeit echt. Ehrlich. Und wahr.
Und gute Kunst?
Meiner Auffassung nach gibt es keine gute oder schlechte Kunst. Es geht eher darum, einen Ansprechpartner zu finden, ein Publikum, mit dem ich mich verbinde. Jedes Mal aufs Neue. Das gelingt oder es gelingt nicht. Oder es gelingt mit dem einen Publikum und mit dem anderen nicht. Manche finden den Weg zu meinen Stücken und fangen an zu weinen oder zu lachen. Oder sie lehnen sie ab. Das finde ich auch klasse. Das brauchen wir. Eine Reaktion. Es geht nicht darum, nur schöne Tänzerinnen und Tänzer zu präsentieren, die sich auf Musik bewegen können. Das wäre ein Verlust und würde, wie gesagt, den Tod des Tanzes bedeuten. Nur, um sich als schön darzustellen, dafür haben wir Instagram.
Sie haben sich seit Ihrer ersten Kreation „Benditos Malditos“ in Nürnberg zu einem international gefragten, zeitgenössischen Ballettchoreographen entwickelt. Worin liegt Ihr größter Erfolg als Ballettdirektor?
Ich genieße die schöne Verbindung einer tänzerischen und einer choreographischen Karriere und einer Karriere als Ballettdirektor. Hier war es von Anfang mein Plan, Werke von herausragenden jüngeren und etablierten Choreopgraphen nach Nürnberg zu holen und eine Repertoire-Compagnie aufzubauen – neben der Herausforderung, eine eigene künstlerische Sprache zu entwickeln. Das Staatstheater Nürnberg Ballett sollte nie eine reine Autoren-Compagnie werden. Das haben wir geschafft. Wir haben eine Truppe geformt, die verschiedene Stile und Bewegungssprachen tanzen kann, von William Forsythe und Jirí Kylián über Mats Ek, Johan Inger, den neoklassischen Christian Spuck bis zu Ohad Naharin und Crystal Pite, um nur einige zu nennen. Das ist das große Erlebnis in den vergangenen zehn Jahren. Hätten wir uns auf meine eigene künstlerische Arbeit begrenzt, wäre das ein Verlust für das Publikum und für mich selbst geworden.
Was würden Sie ambitionierten Menschen raten: Wie erreicht man Erfolg?
Das Wichtigste ist für mich, dass ich jeden Tag mit Lust in die Arbeit komme, auch wenn es Tage gibt, die traurig sind oder frustrierend. Mir hilft der Gedanke, jeden Tag loslassen zu müssen. Man muss bereit sein, nicht zu denken, dass ab einem bestimmten Punkt alles läuft. Man ist kein Ballettdirektor nur weil man darin Erfahrung hat. Es gilt das Gegenteil: Man muss als Künstler jeden Tag hart arbeiten, wie ein Kraftwerk.
Sie begannen als klassischer, u.a. mit dem Prix de Benois ausgezeichneten Tänzer und erzählten einmal, dass Sie viele Jahre daran gearbeitet haben, ein zeitgenössischer Choreograph zu werden, was Ihnen, wenn man Ihre Bewegungssprache beobachtet, wahrlich gelungen ist. Was hat Sie dazu angetrieben?
Die Sache ist: Ich persönlich teile den Tanz nicht in einen klassischen und in einen modernen Tanz ein. Er ist für mich einfach eine persönliche Reise mit einem Instrument: dem Körper. Ja, ich habe meine Karriere als klassischer Tänzer begonnen und das entsprechende inkorporiert. Ich hatte dann aber auch damit angefangen die Neoklassik quasi zu bereisen und Werke von William Forsythe oder Nacho Duat kennenzulernen. Das waren alles wichtige Einflüsse auf mich. Ich begann davon zu träumen meine eigene Bewegungssprache zu entdecken und haben zu wollen. Heute ist für mich der einfachste Weg mich zu bewegen wie ich mich tatsächlich bewege und wie ich choreographiere. Ich versuche nicht modern zu sein und ich habe nie versucht einer Schule zu folgen. Aber ich habe viele Einflüsse von allen. Und ich lerne von allen Einflüssen und Inspirationen, die mir begegnen.
Welche Vorbilder haben Sie aus der Geschichte des Tanzes im 20. Jahrhunderts noch?
Kurz Joos fasziniert mich total. Oder Jerome Robbins. Ich habe jedes Stück von Robbins gesehen. Er ist ein toller Erzähler, hat aber seine eigene Sprache die er immer wieder verändert hat, wie auch seine Karriere. Ich empfinde natürlich George Balanchine als Revolution im Tanz. Aber auch Nijinksi, Maurice Béjart bis Mats Ek oder Pina Bausch. Ich habe Einflüsse von so vielen. Genauso lasse ich mich von Philosophen, Denkern, Dichtern, Musikern oder Malern inspirieren. Am Ende kommt immer alles auf die Bühne. Das ist das Tolle an dieser Kunst, dem Tanz. Wir können von jeder Quelle etwas nehmen. Tanz ist nicht begrenzt. Das ist so faszinierend an ihm.
erschienen auf Tanznetz.de am 3.12.2017
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