Das Staatstheater Nürnberg liebt im Tanz, so scheint es, Dekaden. Auch Goyo Montero hat nach der Ära der Choreografin Daniela Kurz das Ziel erreicht. Er feiert in den nächsten Monaten das 10. Jubiläum seiner Ballettdirektion. Außerordentliches hat der Spanier seit 2008 in der Frankenmetropole geleistet: endlich die Erweiterung der Compagnie von 16 auf 22 Tänzerpositionen; den notwendigen Aufbau eines internationalen Repertoires mit herausragenden Werken zeitgenössischer Choreographie, die zum Kanon des internationalen modernen Bühnentanzes gezählt werden; die Gründung eines Einsteiger- und Ausbildungsformats für junge Tänzer, die sogenannte Young Company. Vor allem aber sind seinem unbändigen Schöpferdrang fünfzehn Werke entsprungen, die Montero als herausragenden, männlichen Choreographen der Gegenwart etabliert haben. Beim Publikum sorgen seine immer auch die Psychologie und Wirklichkeitskonstruktion durch den Menschen auslotenden und zunehmend radikaler werdenden Inszenierungen für Furore. Und fordern es heraus. Monteros „Don Quijote“, mit dem seine Compagnie am vergangenen Samstag die Spielzeit seiner Sparte eröffnet hat, verkaterte so manchen Besucher bei der Uraufführung. Statt getanzter Harmlosigkeiten über den Ritter von der traurigen Gestalt zog Monteros oscarreife Inszenierung zu Musik von Owen Belton konsequent Position zu den Kriegen und Abhängigkeiten in dieser Welt. Man greift nicht zu hoch, bezeichnet man Montero seitdem als einen Goya der Gegenwart des Tanzes.
Daniela Kurz war da in ihrem Inszenierungsstil zurückgenommener, zarter, weniger konfrontierend. Mit Spannung ist daher Monteros nächstes großes Werk zu erwarten. Albrecht Dürer, der Sohn Nürnbergs, hat es ihm als Thema für seine Uraufführung kurz vor Weihnachten am 9. Dezember 2017 angetan. Mit ihm sowie einer Wiederaufnahme seiner dramaturgisch bestechenden „Nussknacker“-Version am 3. März 2018 setzt Montero unter dem Titel „Dürer´s Dog“ seine Reihe der Auseinandersetzung mit komplexen Stoffen und Künstlerpersönlichkeiten in Literatur und Geschichte fort. Dass er den Vergleich nicht scheuen wird, zeigt die Premiere am 21. April 2018. Zur Erweiterung des Repertoires werden, nach Forsythe, Kylián, Spuck, Mats Ek, Bigonzetti, Bubenicek oder Duato der israelische Choreograph Hofesh Shechter und der Schwede Alexander Ekman nach Nürnberg gebeten. Ihre lebensbejahenden, kraftvollen, humorvollen und energiegeladenen Stücke „Disappearing Act“ und „Tulpet“ werden mit einem neuen Kurzstück des Compagniechefs, der eine zeitgenössische, physische Bewegungssprache liebt, in Resonanz gehen. Gefeiert wird dann endlich ab 23. Juni 2018 mit einer Ballettgala „Zehn Jahre Ballett Nürnberg“ – wobei das Wörtchen „Ballett“ hier am wichtigsten ist. Dieses so variantenreich und zeitgenössisch in Nürnberg neu reflektiert und verortet zu haben, darin liegt Monteros wichtigstes Arbeitsergebnis.
Lob gebührt in diesem Zusammenhang auch Michael Bader vom KunstKulturquartier. Er befüllt seine Sparte Tanz konsequent mit Premieren der Nürnberger freien Szene sowie Gastspielen aus der internationalen Szene. Die neuen, von der Stadt Nürnberg geförderten Produktionen u.a. von Susanna Curtis (19. Oktober 2017), Barbara Bess (23. November 2017), Beate Höhn (18. Januar 2018), Sebastian Eilers (15. März 2018), Eva Borrmann (1. Februar 2018) oder Alexandra Rauh (1. März 2018), von denen ein Großteil Mitglied der Tanzzentrale Nürnberg e.V. sind, oder die internationalen Gastspiele wie kürzlich Magamat Dance Theatre aus dem Libanon oder, am 16. Dezember, das neue Stück von Arno Schuitemaker aus den Niederlanden. Sie erweitern nicht nur das ästhetische Angebot in Sachen Tanz in Nürnberg erheblich. Sie öffnen vielmehr weitere Räume für andere Erfahrungs- und Inszenierungsweisen von Tanz und verweisen, stärker als es ein Ballettdirektor vermag oder soll, auf das Experiment, das Offene, Prozesshafte, die eine Arbeit an einem Moment, und auch Unabgeschlossene. Der Nürnberger Tanzliebhaber darf sich glücklich schätzen.
Autorin: Alexandra Karabelas, erschienen am 19.10. in der Landshuter Zeitung. Abgebildet auf den Fotos: Goyo Montero, Szene aus „Don Quijote“, Susanna Curtis, Sebastian Eilers.
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